Anmerkungen zu „zwei Frauen“ von Maria Hahnenkamp
Die rot gekleideten Protagonistinnen von Maria Hahnenkamps Serie „zwei Frauen“ (2001) sind zusammengekommen, um Sicht zu verstellen und des Blicks zu wehren. Sie agieren als rote Garde und ihre Mission ist radikal und nicht verhandelbar. Es geht darum, Bildraum in einer Weise zu besetzen, dass nichts mehr zu sehen ist. Um den Blick draußen zu halten, bilden sie eine Phalanx von Körpern, die am vorderen Bildrand postiert sind. Dieses Setting hat etwas höchst Aggressives und ist auf Konfrontation und Frustration von Sehgewohnheiten angelegt.
Die Serie stellt ein hochreflektiertes Spiel mit den Versprechen des medialen Raumes der Fotografie dar. Für diese Arbeit hat Maria Hahnenkamp sich selbst und eine andere Frau hinter einer Glasplatte, direkt vor der Kamera platziert. Durch die Glasbarriere erhalten die Körper etwas Flaches und Gepresstes. Paradoxerweise geht das Versagen von Sicht mit einer Fülle an visueller Information einher. Da sind Nähte und Falten, Muster und verschiedene Texturen, auf die sich der/die Betrachterin konzentrieren kann. Trotzdem ist der Gesamteindruck der eines Fehlens von Sicht. Als Folge dieser visuellen Kastration wird der/die Betrachterin findig und versucht den visuellen Entzug auszugleichen, indem er/sie sich an die Zwischenräume hält. Auf seiner Suche nach einer Dimension jenseits der Bildoberfläche kriecht der Blick in die Falten und hinter leicht verrutschte Kleidungsstücke. Zwischen den Körpern tun sich Lücken und Schlitze auf, die das Versprechen auf Tiefe und volle Sicht enthalten. Die zunächst undefinierbaren, abstrakten Formen dieser räumlichen Intervalle erweisen sich als Vaginalformen und werfen den/die Betrachterin in expliziter Weise auf deren skopisches Begehren zurück.
Wie Linda Hentschel(2001) nachweist, ist dieses skopische Begehren eng mit der Konstruktion des Bildraumes der Frühen Neuzeit verbunden. In diesem räumlichen Konzept ist das Versprechen auf reine Sicht und einen potentiell uneingeschränkten Blick auf auch verborgene und tabuisierte Dinge immer schon angelegt. Dadurch wird der Seh-Akt libidinös aufgeladen und letztlich auch von Geschlechterdifferenz bestimmt. „Vision cannot be separated from the construction of space, which in turn cannot be separated from the construction of gender upon which sexuality is mapped, usually violently” (Wiley 1992, 364). Da kein Seh-Akt jemals neutral ist, fließen Gender Aspekte in das scheinbar rein mathematische Model westlicher Repräsentation ein. Dies führt zu einer Sexualisierung des Bildraumes. „Meine These lautet, dass mit der Feminisierung des visuellen Raumes der sexuelle Akt nicht metaphorisiert, sondern das Sehen selbst sexualisiert wird.“ (Hentschel 2001, 30) Der ursprünglich als rationales, autonomes, zentriertes männliches Subjekt gedachte Betrachter, positioniert sich in privilegierter Stellung vor dem Bildraum, um von dort aus den repräsentierten Bereich mit seinen visuellen Akten zu durchdringen. Das Auge als visueller Agent unterwirft den Raum, der sich vor ihm auftut, dem Regime und der Macht des Blicks. In einer metonymischen Verschiebung bzw. einem Prozess des Ersetzens wird das Begehren nach dem im Bild gezeigten weiblichen Körper auf den Bildraum an sich übertragen. Der sexualisierte Bildraum wird zum Anderen des männlichen Blicks und damit disponibel für Aneignung, Eroberung und Unterwerfung.
In „zwei Frauen“ werden nur die Leibesmitten, nämlich Hüften und Oberkörper der Frauen gezeigt, auch die Arme fehlen. Die monochrom roten Torsi leisten jedoch ganze Arbeit, wenn es darum geht, den Bildraum zu füllen. Nur an jenen Stellen, wo die Körper aneinander stoßen, ergeben sich Öffnungen in den Tiefenraum, wobei diese Aussparungen, wie bereits angemerkt, vaginal geformte Spalten und Lücken entstehen lassen. Diese an sich höchst abstrakten Leerräume werfen die BetrachterInnen auf ihre Seh-süchte zurück und scheinen zu fragen: War es das, was ihr immer schon sehen wolltet? Wobei die völlig bedeckten, nicht einen Millimeter Haut freigebenden weiblichen Körper nicht als Erklärung für den wahrnehmungsmäßigen Kippeffekt von abstrakter Form zu weiblichem Geschlecht herhalten können. Den roten Körpern selbst haftet etwas Hochgeschlossenes, analytisch Strenges an. Der Skandal des Entblößten und Intimen liegt in den Raumspalten, die einen Penetrationsreflex auslösen. In diese Schlitze möchte der Blick stoßen, um sich wieder Sicht und Weitblicks zu verschaffen. Fast scheint es, als würden in diesen Zwischenräumen Gewaltphantasien nisten. Tatsächlich müsste man denn auch Gewalt anwenden, um diese begrenzten Ausblicke zu dehnen oder aufzubrechen.
Die strategisch eingesetzte Formation dieser Körper wirkt militant bewusstseinsbildend. Mit Linda Hentschel könnte man sagen, dass hier ein Einsatzkommando gegen den sexualisierten Gebrauch des neuzeitlichen Bildraumes und die damit einhergehende räumliche Festschreibung von Geschlechterverhältnissen am Werk ist. Nach mehr als vier Jahrhunderten ungehinderten Bilder-Sehens und der damit einhergehenden Potenzphantasien handelt es sich um eine wohl durchdachte, gut umgesetzte feministische Aktion. Es herrscht Nähe und Enge im Bildraum, aber hier ist Frau nicht zum Kuscheln zusammengekommen, sondern um weibliche Solidarität zu demonstrieren und in einer kollektiven Anstrengung Bildraum zu blockieren. Als Substitut für die verlorene Sicht wird quasi die Abstrakt-Variante einer Vaginaform angeboten, was sich in dem Falle weniger als unsittliches, denn zutiefst ernüchterndes Angebot erweist. Welche/r in westlichem Sehen Geschulte und in westlichen Repräsentationssystemen heimische Betrachterin möchte schon im Bildvorraum befriedigt werden, bevor sich seine/ihre visuelle Potenz an der Tiefe des medialen Raumes aufbauen konnte?
Monika Schwärzler, 2014
Literaturangaben Hentschel, L. (2001). Pornotopische Techniken des Betrachtens. Raumwahrnehmung und Geschlechterordnung in visuellen Apparaten der Moderne. Marburg: Jonas Verlag. Wiley, M. (1992). The Housing of Gender. In Colomina, B. (Ed.), Sexuality and Space (pp. 327–389). New York: Princeton Architectural Press.
Monika Schwärzler – Professor an der Webster Vienna Private University, Department of Media Communications; Doktorat in Philosophie an der Universität Wien; Akademikertraining am Museum Moderner Kunst in Wien; Lehrtätigkeit an der Webster University in St. Louis, MO und im Auslandsprogramm der University of Oregon; weiters Lehrtätigkeit im Internationalen Sommer Programm der Universität Wien und in Postgraduate Museologie Kursen der Universität Basel; Gründungsmitglied und Vorstand der T.K. Lang Gallery an der Webster University. Forschungsgebiete: Kunst- und Medientheorie, Fotoästhetik und -geschichte, Visuelle Kultur, Animationsfilm