Parallelfiguren

Kunstprojekte draußen im Stadtraum vermögen, anders als in der besonderen Atmosphäre der Kunsthalle, Wahrnehmungskonventionen zu unterlaufen. Solche künstlerischen Interventionen erzeugen stets Unterbrechungen im homogenisierten Setting des urbanen Alltags. Über erste Irritationen hinaus können Lebenszusammenhänge kritisch reflektiert oder Kommunikationsprozesse angeregt werden. Das Fesselnde an den Plakaten Maria Hahnenkamps scheint das zunächst rätselhafte Phänomen zu sein, dass hier Bild und Text ohne geradewegs entschlüsselbare Zusammengehörigkeit aufeinander treffen. Die Ungreifbarkeit, ja Unbegreiflichkeit, mit der PassantInnen zunächst konfrontiert werden, widersprechen dem üblichen Prinzip der Linearität von Botschaften. Es scheint keinen Sender/Senderin und somit auch keinen gedachten Empfänger/Empfängerin wie in traditionellen Kommunikationsmodellen zu geben. Obwohl scheinbar leicht eingängig, stehen die Sätze und Fragen in radikaler Differenz zu den sonst für „Sprache im Stadtraum“ üblichen Hinweistafeln oder Kurz-Nachrichten, oder den mit eindeutigem Verkaufsziel formulierten Werbebotschaften. Vielmehr tendiert die Sprache auf den Plakaten von Maria Hahnenkamp zum Hermetischen. Fast kryptisch wirken die Texte, es verbleibt der Eindruck, man würde beim Sprechen zusehen. Dennoch handelt es sich um sehr konkrete Fragen und Aufforderungen, um solche allerdings, welche die verheißende Sprache der Produktwerbung subtil konterkarieren.

Nicht alle werden je erfahren, dass es sich um Textzitate aus Samuel Becketts meisterhaft kurz gehaltenem Drama „Endspiel“ handelt. Darin bringt der irische Dichter, wie auch sonst in seiner Literatur, existentielle Bedrohung und gespenstische Leerräume des Menschlichen konsequent auf die Bühne. Wie verkrüppelt, infantil, wie gesichtslose menschliche Ruinen wirken die durch latente Verzweiflung charakterisierten Figuren. Die Handlung dieses Dramas stagnierender Regression verharrt in oszillierender Unbeweglichkeit. Manchmal scheint diese extreme Inszenierung in Richtung Parodie menschlicher Unzulänglichkeiten zu kippen. In der Verkürzung hält Beckett die Sprache in Schwebe. In einer Einfachheit, die manchmal ans Banale zu grenzen scheint, wirken die Dialoge seiner Figuren wie Ausschnitte aus einem Sprach-Fluss ohne Anfang und ohne Ende. Ebenso chiffrenhaft wie Becketts Bühnensprache kann Hahnenkamps Arbeit im Koordinatensystem des Visuellen erscheinen. In ihrem künstlerischen Werk arbeitet sie an der Konzentration und an der Zuspitzung von Informationseinheiten. Bild und Text jedoch bleiben nebeneinander stehen. Keine Zusammengehörigkeit entsteht. Eine solche wäre künstlich, konstruiert, unpassend. Viel eher ließe sich von einer „fernen Kongruenz“ sprechen. Vielleicht sogar von „Parallelfiguren“, die gesondert ihren Weg nehmen. Es entsteht eine Spannung aus bemerkenswerten Widersprüchen und dialektischen Konstellationen, welche als Themen in ihrem Werk auftauchen.

Sie macht Intimes öffentlich. Sie übersetzt Körperliches in Abstraktes, und – ganz zentral für ihre Arbeit: Sie thematisiert Befreiung im feministischen Sinn, wenn sie Normierungen des Weiblichen bearbeitet. Ein selbst gefertigtes Kleid mit von der Künstlerin eigenhändig aufgesticktem Muster von floraler Form nach einer Ornamentvorlage aus dem 19. Jahrhundert bildet den dynamischen Hintergrund. Genauso wie die Schrift steht das Weiß des ornamentalen Musters in einem scharfen Kontrast zum Rot des Stoffes. Die deutlich sichtbaren Faltungen und vor allem die Blickachse auf den Körper ergeben sich aus einer aufwendigen Inszenierung. Das Model – oder besser „Modell“ – drehte sich auf einer Glasplatte um ihre eigene Achse während sie fotografiert wurde. Übersetzt in die Plakatform wird jene visuelle Ausdrucksform berührt, aber zugleich auch verweigert, welche sich als Symptom der öffentlichen Zuordnungen der Geschlechter unentwegt multipliziert in der Sprache der Werbung findet. Es wird lediglich an die permanente Sexualisierung des weiblichen Körpers in der Öffentlichkeit erinnert.

Auf dem Weg in Richtung Abstraktion, durch das Spiel mit der Fragmentierung, durch den fotografischen Ausschnitt, erhält die Bildsprache analytischen Charakter und wird zu einer Befragung von Repräsentation des Weiblichen. So wie Hahnenkamp historische Zeichensysteme wie das Ornament aufgreift, um ein komplexes Verweissystem auf Konstruktionen des Weiblichen, soziale Disziplinierung der Frau und geschlechtsspezifische Zuordnungen auszubreiten, so schlägt sie immer wieder Brücken in die Gegenwart, um die spezifischen, stetig flottierenden, auf den Körper bezogenen visuellen Morpheme einzubremsen und für sich zu bearbeiten. Eine wesentliche Methode dabei ist „Distanznahme“. Ihre Inszenierungen, die von historischen Bezugnahmen ausgehen – der aufwendige Vorgang des Stickens, die Arbeit mit einem Model und die nachfolgende Weiterbearbeitung der Bilder – könnte man als eine radikale Form einer extrem verlangsamten kritischen Auseinandersetzung mit den kulturellen Bildern von Frauen sehen. Stets verbunden mit der Frage, wer die Definitionsmacht über diese Bilder innehat.

Roland Schöny

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